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Stationäre Drogentherapie und die Zurückstellung der Strafvollstreckung

Will die Vollstreckungsbehörde eine begonnene und bereits vorangeschrittene stationäre Drogentherapie durch die Versagung der Zurückstellung allein wegen der Ungeeignetheit der vom Verurteilten gewählten Therapieeinrichtung abbrechen, muss sie ihre Entscheidung auf gewichtige Gründe stützen, die die sehr hohe Wahrscheinlichkeit eines Therapiefehlschlags belegen.

Der Vollstreckungsbehörde steht bei ihrer Entscheidung über die Zurückstellung der Strafvollstreckung zur Durchführung einer Drogentherapie gemäß § 35 BtMG ein Ermessen und hinsichtlich der dabei zu prüfenden Tatbestandsvoraussetzungen, Kausalität der Betäubungsmittelabhängigkeit für die abgeurteilten Taten und Therapiewilligkeit des Antragstellers, ein Beurteilungsspielraum zu. Gemäß § 28 Abs. 3 EGGVG hat das Oberlandesgericht die Entschließung der Vollstreckungsbehörde auf Rechtsfehler bei der Anwendung gesetzlicher Bestimmungen, auf Ermessensfehler und darauf zu überprüfen, ob ihr ein zutreffend und vollständig ermittelter Sachverhalt unter Einhaltung der Grenzen des Beurteilungsspielraums zugrunde gelegt ist.

Sind, wie im vorliegenden Falle, die Voraussetzungen des § 35 BtMG erfüllt, so ist der Vollstreckungsbehörde hinsichtlich der Rechtsfolge ein – allerdings erheblich eingeschränktes – Ermessen eröffnet; sie „kann“ die Strafvollstreckung zurückstellen. Orientieren muss sich die Ermessensausübung am alleinigen Zweck der Regelung des § 35 BtMG, drogenabhängige Straftäter aus dem Bereich kleiner und mittlerer Kriminalität im Interesse ihrer Rehabilitation zu einer notwendigen therapeutischen Behandlung zu motivieren. In diesem Zusammenhang unterliegt auch die Auswahl der Therapieform und der Therapieeinrichtung der Entscheidung der Vollstreckungsbehörde. Der Verurteilte kann insoweit nur Vorschläge machen. Bei dieser Auswahl muss die Vollstreckungsbehörde unter anderem die Persönlichkeit und die Drogenkarriere des Verurteilten (Dauer und Art der Abhängigkeit, Therapien, Rückfälle, Vorstrafen etc.) berücksichtigen und danach erwägen, ob die vom Verurteilten vorgeschlagene Therapieeinrichtung als geeignet erscheint, der Drogenabhängigkeit wirksam zu begegnen. Bei ihrer Entscheidung hat die Vollstreckungsbehörde allerdings auch der Offenheit des § 35 BtMG für unterschiedliche Therapiekonzepte Rechnung zu tragen, die daraus resultiert, dass sich bislang keine allseits anerkannten Standards der Behandlung von Drogensüchtigen durchsetzen konnten.

Vorliegend ist der Bescheid der Vollstreckungsbehörde deshalb zu beanstanden, weil sie ihrer Pflicht zu einer vollständigen Sachverhaltsaufklärung hinsichtlich der Geeignetheit der von der Antragstellerin aufgesuchten Therapieeinrichtung nicht ausreichend nachgekommen ist.

Der Bescheid der Generalstaatsanwaltschaft lässt unberücksichtigt, dass sich die Antragstellerin zum Zeitpunkt seines Erlasses schon fast drei Monate lang ohne Auffälligkeiten und – eigenem Bekunden zufolge – erfolgreich der stationären Therapie in der Einrichtung Lebenswende unterzogen hat. Angesichts dieses gewichtigen Umstands durfte die Vollstreckungsbehörde die Eignung der Therapieeinrichtung nicht mit allgemeinen Erwägungen verneinen und damit den Therapieabbruch auf unzureichender Grundlage herbeiführen. Will die Vollstreckungsbehörde eine bereits begonnene und – wie hier – über fast drei Monate vorangeschrittene stationäre Drogentherapie durch die Versagung der Zurückstellung allein wegen der Ungeeignetheit der Therapieform oder Therapieeinrichtung abbrechen, muss sie ihre Entscheidung auf Gründe von solchem Gewicht stützen, die geeignet sind, die sehr hohe Wahrscheinlichkeit eines Therapiefehlschlags zu rechtfertigen. Solche Gründe sind indessen nicht dargetan.

Soweit die angefochtenen Bescheide zur Begründung der Ungeeignetheit der Therapieeinrichtung maßgeblich darauf abheben, sie sei nicht staatlich anerkannt und verlange auch keine Kostenzusage, handelt es sich um formale Kriterien von geringerem Belang. Ihre Aussagekraft wird vorliegend noch dadurch gemindert, dass der Verteidiger der Antragstellerin beachtliche für die Qualität der Einrichtung sprechende Referenzen u.a. zweier Strafkammervorsitzender des Frankfurter Landgerichts vorgelegt hat und nach Aktenlage nichts dafür spricht, dass Seriosität und therapeutische Qualität der seit 1978 bestehenden, in Frankfurt und Hamburg tätigen, dem Diakonischen Werk der evangelischen Kirche in Deutschland angehörenden Einrichtung zweifelhaft seien.

Um eine tragfähige Grundlage für ihre Entscheidung zu gewinnen und das Risiko zu vermeiden, durch eine Ladung zum Strafantritt mögliche erste Erfolge der begonnenen Therapie zunichte zu machen, hätte sich die Vollstreckungsbehörde zumindest durch eine Anfrage nach dem Therapiekonzept der Einrichtung und nach dem konkreten Therapieverlauf über die Frage der Eignung der Einrichtung kundig machen müssen. Möglicherweise hätte sich ergeben, dass die Antragstellerin unter den Bedingungen der von ihr gewählten Therapieeinrichtung durchaus das von der Vollstreckungsbehörde angezweifelte Maß an Verträglichkeit, Anstrengungsbereitschaft und Unterordnungsbereitschaft für einen erfolgreichen Therapieverlauf entwickelt hat und dass sie sich gerade auf das Therapiekonzept dieser Einrichtung einlassen konnte.

Die Erwägung der Vollstreckungsbehörde, dass die Antragstellerin unter den Bedingungen einer professionell betreuten Therapie nach kurzer Zeit gescheitert sei und dass deshalb der Versuch einer Selbsthilfeeinrichtung keinen Erfolg verspreche, vermag die gebotene Sachverhaltsklärung vorliegend nicht zu ersetzen. Es gibt keinen allgemeinen Erfahrungssatz, der diese Erwägung stützt, denn es hängt von zahlreichen, vielfach nicht vorhersehbaren Umständen ab, ob eine Therapie erfolgreich sein wird.

Oberlandesgericht Karlsruhe Beschluß vom 21. März 2011 – 2 VAs 3/11

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